Schwarz verkohlte Betonstufen und ein rostbrauner Torbogen. Das sind die Reste der Villa von Pornhub-Chef Feras Antoon nach der mutmaßlichen Brandstiftung durch bislang unbekannte Täter:innen. Das protzige Anwesen im kanadischen Montreal hatte 21 Zimmer, wie Medien vor Ort berichten. Wert: umgerechnet rund 13 Millionen Euro. Am 26. April 2021 wurde es zur Ruine.
Während sich die Polizei gegenüber Medien nicht zu laufenden Ermittlungen äußert, ist die niedergebrannte Villa längst zu einem Symbol geworden. Einerseits für den unglaublichen Reichtum von Pornoseiten, andererseits für den Zorn ihrer teils erbitterten Feinde. Pornhub ist eine der meistbesuchten Websites der Welt.
Die Gruppe der Pornhub-Kritiker:innen ist nicht homogen. Dazu gehören nicht nur Betroffene digitaler Gewalt, also Menschen, deren Aufnahmen gegen ihren Willen auf Pornoseiten verbreitet wurden. Auch fundamentale Porno-Gegner:innen mischen sich ein. Sie wollen Pornografie und Sexarbeit generell abschaffen. Einige von ihnen schrecken nicht vor Hassbotschaften zurück. Ein Jahr vor dem Brand der Pornhub-Villa schreibt etwa ein Twitter-Nutzer: „Gott, brenne Pornhub und Konsorten nieder“.
Unmittelbar nach dem Brand der Pornhub-Villa twittert eine andere Nutzerin, sie bitte den mutmaßlichen Brandstifter „noch mehr Eigentum von Männern niederzubrennen, die von der Vergewaltigung von Frauen profitieren“.
Solche Hetze ist offenbar keine Ausnahme. Der sonst medienscheue Pornhub-Chef hat jetzt dem US-Magazin Vanity Fair ein Interview gegeben. Seine korrekte Bezeichnung ist CEO von Mindgeek, das ist der Mutterkonzern von Pornhub. Antoon sagte: „Ich kann gar nicht zählen, wie viele Kommentare ich von Leuten bekommen habe, die die Branche oder mein Haus niederbrennen wollten“. Er sagt aber auch, er wolle niemanden beschuldigen, bevor er die Fakten kenne.
So wurde die Villa zum Zeichen für Pornhubs Krise
Bevor die 13-Millionen-Euro Villa in Flammen aufgeht, beginnt für Pornhub die größte Krise in der Firmengeschichte. Zahlreiche journalistische Recherchen und Klagen von Betroffenen zeigen seit 2019: Auf der Plattform werden auch Aufnahmen ohne Einverständnis verbreitet. Darunter sexualisierte Gewalt gegen Minderjährige. Damals hat die Plattform nur geringe Hürden, um das zu verhindern. Nutzer:innen können x-beliebige Aufnahmen anonym einem Millionenpublikum zugänglich machen.
Als Folge der öffentlichen Kritik ziehen sich dich Zahlungsdienstleister Visa und Mastercard Ende 2020 von Pornhub zurück. Politiker:innen in den USA und später auch Europa diskutieren schärfere Regulierungen. Eine US-Sammelklage von Betroffenen sexualisierter Gewalt spitzt die Vorwürfe zu: Demnach seien Aufnahmen ohne Einverständnis nicht etwa eine Ausnahme bei Pornhub, sondern bewusstes Mittel zum Geldverdienen. Pornhub weist das zurück: So etwas schade dem Geschäft.
Nach all der Kritik gibt es bei Pornhub Veränderungen. Anonyme Uploads werden Ende 2020 verboten, anonym gepostete Videos rückwirkend gelöscht. Die Plattform veröffentlicht erstmals einen Transparenzbericht, der jedoch nicht besonders aufschlussreich ist.
Im Dezember 2020 müssen sich Feras Antoon und andere Mindgeek-Manager vor einem Ausschuss des kanadischen Parlaments rechtfertigen. Bei der Anhörung sagt der operative Geschäftsführer von Mindgeek, David Tassilo, Pornhub sei die „sicherste Erwachsenenplattform der Welt“. Dahinter steckt wohl das Ideal, dass Amateur:innen auf Pornhub einfach nur ihre Sexualität ausleben und Darsteller:innen ihrem Beruf nachgehen. Einvernehmlich. Diesem Ideal ist Pornhub aber mehrfach nicht gerecht geworden.
Während die Kritikwelle gegen Pornhub rollt, nähert sich die protzige 13-Millionen-Euro-Villa von Pornhub-Chef Antoon ihrer Vollendung. Ausgerechnet in einer Gegend von Montreal, in der früher weltbekannte Mafiabosse residiert haben. Machtsymbol eines Porno-Königs. Aber Antoon will zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr darin wohnen. Im Vanity-Fair-Interview sagt er: „Es sollte Freude bringen, aber ich hatte das Gefühl, dass es nur Negativität brachte, also haben wir beschlossen, zu verkaufen.“ – Heute ist keine Villa mehr zum Verkaufen da.
Feldzug gegen Pornografie
Der öffentliche Druck auf Pornhub wäre kaum denkbar gewesen ohne die starken Stimmen von Aktivist:innen. Sie fordern unter anderem, dass Pornoplattformen ihre Inhalte besser kontrollieren und Betroffenen digitaler Gewalt zuverlässig helfen – auch in der EU.
Vor allem in Nordamerika bekommen sie lautstarke Unterstützung von einer weiteren Interessengruppe mit deutlich radikaleren Zielen. Da gibt es etwa die religiös geprägte NGO „Exodus Cry“. Sie steckt hinter der Anti-Pornhub-Petition „Trafficking Hub“ mit angeblich mehr als zwei Millionen Unterschriften. Mit beharrlicher Lobbyarbeit nehmen die Aktivist:innen Einfluss auf die Debatte im englischsprachigen Raum.
Auf der eigenen Website ermuntert die Organisation „Exodus Cry“ ihre Anhänger:innen unter anderem, für die Schließung von Bordellen zu beten und auf den Konsum von Pornos zu verzichten. Exodus Cry fordert auch das Ende von kommerziellen, sexuellen Dienstleistungen.
Ihre Bewegung nennen die Aktivist:innen Abolitionismus. „Abolish“ ist das englische Wort für „abschaffen“. Früher war mit dem Begriff die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei gemeint. Heute sind es Frauen in der Erotikindustrie, die Exodus Cry offenbar als versklavt betrachtet. Auf ihrer Website zitieren die Aktivist:innen aus der Bibel, dass Jesus die „Gefangenen befreie“. Dennoch legt „Exodus Cry“ in einer E-Mail an netzpolitik.org Wert darauf, dass sie von Menschen verschiedener Religionen und Weltanschauungen unterstützt werde.
Gewalt und Brandstiftung sind jedoch kein Thema auf den Website von Exodus Cry und „Trafficking Hub“. Im Slogan der Petition heißt es, man solle Pornhub dichtmachen („shut down“) – nicht abbrennen. Zumindest einzelne Unterstützter:innen sehen das möglicherweise anders. Einer der Aufrufe zur Brandstiftung gegen Pornhub wurde unter einem Tweet von Laila Mickelwait gepostet. Mickelwait macht als Initiatorin von „Trafficking Hub“ bis heute gegen Pornhub mobil. In einem anderen Tweet verbreitet eine Nutzerin die Petition mit den Worten: Alle, die für Pornhub arbeiten, sollten „in der Hölle brennen“.
Wir haben Mickelwait und Exodus Cry per E-Mail auf die Gewaltaufrufe und die abgebrannte Villa angesprochen. Beobachten die Aktivist:innen eine Radikalisierung in ihrer Community? Wie gehen Sie mit Gewaltaufrufen um? „Exodus Cry liegen keine Beweise vor, die einen unserer Anhänger mit Gewalttaten, Hass oder illegalen Aktivitäten in Verbindung bringen“, schreibt eine Sprecherin. Man verfolge Gerechtigkeit für Opfer und Täter:innen im Rahmen Gesetzes. „Exodus Cry verurteilt illegale Aktivitäten, Gewalttaten und gewalttätige Rhetorik in all ihren Formen.“ Mickelwait schreibt, Vorwürfe gegen TraffickingHub seien falsch. „Ich habe Gewalt jeglicher Art stets öffentlich verurteilt und davon abgeraten.“
Nachrichtenmedien wie die australische ABC und das US-Magazin „The Daily Beast“ sehen bei „Exodus Cry“ eine Nähe zur religiösen Rechten, zu Trump-Untersützter:innen und zu Anhänger:innen des Verschwörungskults QAnon. Wir wollten von „Exodus Cry“ wissen, ob das stimmt und ob die Organisation diese Gruppen als Verbündete ansehe. Eine Sprecherin schrieb: „Wir begrüßen die Unterstützung aller, die bereit sind, sich ehrlich und respektvoll mit diesen Themen auseinanderzusetzen.“
Wovon radikale Porno-Gegner:innen ablenken
Es kann sein, dass Porno-Gegner:innen überhaupt nichts mit dem Feuer in der Villa zu tun haben. Die ungeklärten Umstände haben dennoch eine Signalwirkung auf die Branche. Auch auf xHamster, einen der größten Konkurrenten von Pornhub. Im Jahr 2021 nahm der mutmaßliche CEO von xHamster Kontakt mit Journalist:innen des SPIEGEL auf, wollte aber anonym bleiben, angeblich zu seinem eigenen Schutz. Als Grund für die Geheimniskrämerei nannte er die mutmaßliche Brandstiftung bei seinem Pornhub-Rivalen.
Die Gewerkschaft für Sexarbeiter:innen in den USA nannte das Feuer in einem Tweet einen „Akt des Hasses und der Gewalt“ gegen die Erotikindustrie. „Wir müssen gegen diese Gewalt stehen, um unsere Familien und unsere Gemeinschaft zu schützen!“ Die Vorsitzende der Gewerkschaft, Alana Evans, setzte Vanity Fair zufolge noch eins drauf und bezeichnete die mutmaßliche Brandstiftung als „terroristische Attacke“ gegen die Branche, durchgeführt von „super-religiösen“ Porno-Gegner:innen. Nochmal: Dafür gibt es bislang keine Beweise.
Sexarbeiter:innen kämpfen nicht nur in den USA gegen Diskriminierung und Stigmatisierung ihres Berufs. Erzählungen darüber, dass Sexarbeiter:innen generell unfrei seien, tragen zur Stigmatisierung bei.
In Deutschland setzt sich eine Gruppe um die Aktivistin Anna Nackt für Betroffene ein, deren Aufnahmen ohne ihr Einverständnis auf Pornoseiten verbreiteten wurden. In der Öffentlichkeit tritt sie unter Pseudonym auf. Im Gespräch mit netzpolitik.org sagt Anna Nackt: „Organisationen wie Exodus Cry geht es nicht um die Betroffenen. Sie instrumentalisieren die Betroffenen, um die Abschaffung von Pornografie durchzusetzen“. Die Vereinnahmung durch Fundamentalist:innen sehe Anna Nackt sehr kritisch. „Es bedeutet zusätzlichen Aufwand, weil wir uns abgrenzen und erklären müssen“, sagt sie.
Tatsächlich könnte man die Petition „TraffickingHub“ auf den ersten Blick für einen US-amerikanischen Vorgänger der Petition von Anna Nackt halten. Aber der Unterschied ist gewaltig: Anna Nackt und ihre Unterstützer:innen wollen weder Pornoseiten noch Sexarbeit abschaffen. Dahinter steht die Idee von sexueller Selbstbestimmung. Eine Idee, die radikale Porno-Gegner:innen offenkundig nicht teilen. Sexuelle Selbstbestimmung bedeutet: Es darf zwar niemand Nacktaufnahmen ohne Einverständnis verbreiten und verkaufen – aber mit Einverständnis ist das kein Problem.
Abgebrannte Kulissen. Eine Villa soll das gewesen sein? Fragt einer vom Messebau.
Nein, es war keine Villa, es war eine Villa im Bau. Das sagt zumindest der CBC-Artikel:
»A mansion under construction in Montreal’s Ahuntsic-Cartierville borough was the target of an arson attack Sunday night, leading to a fire that ripped through the new build.«
https://www.cbc.ca/news/canada/montreal/ahuntsic-mansion-arson-fire-1.6001985
Netzpolitik.org hat diese total unwichtige Nebeninformation in der Eile wohl vergessen …